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Datum: 29.06.2023

Wahrnehmung von Einsamkeit entscheidend für soziale Isolation von Seniorinnen und Senioren

Menschen im Alter sind einsam. Das wird gemeinhin angenommen. Tatsächlich aber trifft diese Empfindung nicht auf alle älteren Menschen zu, auch nicht unter Hochaltrigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung im Rahmen des Projektes „Miteinander – Füreinander“ der Malteser in Sachsen-Anhalt, die gemeinsam mit dem Sozialforscher Dr. Peter-Georg Albrecht von der Hochschule Magdeburg-Stendal durchgeführt wurde. Die Ergebnisse stellte der Sozialwissenschaftler am 27. Juni 2023 im Weißenfelser Rathaus vor. Etwa 30 Gäste nahmen an der Veranstaltung teil. Der Vortrag ist Teil der „Weißenfelser Seniorenzeit“. Unter diesem Titel hat sich in der Saalestadt ein Netzwerk gegründet, um über Angebote, offene Treffs und Veranstaltungen für Junggebliebene, Seniorinnen und Senioren sowie für deren Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn und Bekannte zu informieren. Koordiniert wird das Netzwerk von der städtischen Gleichstellungsbeauftragten Katja Henze, die auch die Moderation der Veranstaltung im Rathaus übernahm und eine Diskussionsrunde im Anschluss an den Vortrag leitete.

Dr. Peter-Georg Albrecht legte dar, dass bei Menschen im Alter über 80 Jahren ein erhöhtes Risiko sozialer Isolation besteht. Dies gelte besonders, wenn diese Menschen weniger mobil sind, keinen Partner haben oder ein Migrationshintergrund vorliegt. Doch wie einsam sind Menschen zwischen 62 und 91 Jahren wirklich? Unter 106 Befragten in Sachsen-Anhalt gaben nur 21 Personen (darunter zwei Männer) an, oft einsam zu sein. Nur zwei beschrieben sich selbst als „immer“ einsam. Auffällig: Nur zwei der einsamen Menschen leben noch mit einem Partner zusammen. Kinder leben nicht mehr in den Haushalten der Befragten. Allen gemeinsam ist: Sie sind weniger glücklich, zufrieden und gesund als der Durchschnitt der Befragten.

Laut Dr. Peter-Georg Albrecht treffen sich die betroffenen Befragten seltener als einmal im Monat mit Freunden oder Bekannten oder werden von diesen besucht. Zwei erklärten, keine Vertrauensperson zu haben. Auch wenn berufliche Netzwerke im Alter kleiner werden, bedingt dies nicht zwangsläufig soziale Isolation. Viel mehr spiele die subjektive Erfahrung von Einsamkeit eine Rolle. Das gelte vor allem, wenn Verluste erlitten werden. Dies könne sich erheblich auf die Gesundheit auswirken. Der Sozialwissenschaftler nannte unter anderem Schlafstörungen und Depressionen als mögliche Folgen. Um dem entgegenzuwirken, identifizierten die Forscher mehrere Punkte als wirksam. So seien gemeinsame soziale Aktivitäten wie beispielsweise Kaffeerunden oder Seniorenturnen wichtig. Auch beratende Einzelgespräche zum Beispiel zur Pflegesituationen oder zu Unterstützungsmöglichkeiten bei persönlichen, rechtlichen, finanziellen und steuerlichen Angelegenheiten seien vorteilhaft. Ratsam für einsame Menschen ist auch der Einbezug des engen Familien- und Freundeskreises.

„Meist leben wir ja in Gesellschaft. Verbringen zweisam oder dreisam unsere Tage. Sind nur ungern allein und wollen uns schon gar nicht einsam fühlen“, sagte Dr. Peter-Georg Albrecht in seinem Vortrag. „Das muss aber im Alter gelernt werden. Trotz digitaler Kommunikationsmöglichkeiten. Trotz guter Kultur- und Begegnungsangebote vor Ort. Ja, vielleicht sogar trotz der Menschen um uns herum.“

„Die Ergebnisse sind interessant. Sie zeigen deutlich, dass es ein Unterschied ist, allein zu sein und sich einsam zu fühlen“, sagte Gleichstellungsbeauftragte Katja Henze. Sie vermutet – allein schon aufgrund der kleinen Befragungsgruppe – eine hohe Dunkelziffer. In Weißenfels sind 34 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner über 60 Jahre alt. Konkret sind es knapp 7.500 Frauen und knapp 6.200 Männer. Und die Menschen in Deutschland werden immer älter. So soll sich Prognosen zufolge die Zahl der 80- bis 90-Jährigen bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Diesen Trend nehmen Verwaltung und Politik ernst, versicherte der stellvertretende Oberbürgermeister der Stadt Weißenfels Steve Mämecke, der bei der Veranstaltung im Rathaus ein Grußwort hielt. „Nicht nur beim Thema Einsamkeit ist der Blick auf ältere Menschen in unserer Stadt von Bedeutung. Für die Stadtplanung spielt diese Personengruppe eine wichtige Rolle. Wohnformen, Straßen, sichere Gehwege und Mobilität sind hier nur einige zu nennende Punkte. Es geht auch um Barrierefreiheit – baulich und verwaltungstechnisch, um Beteiligungsformate und um Freizeitangebote.“

In der anschließenden Diskussionsrunde gab es seitens der Gäste großes Lob für das vielfältige Angebot an Veranstaltungen und Treffs für Seniorinnen und Senioren in Weißenfels. Als größte Schwierigkeit kristallisierten sich im Gespräch immer wieder die Zugangswege heraus. Dabei ging es zum einen um Informationswege. Hier wurde die Gründung des Netzwerkes „Weißenfelser Seniorenzeit“ und die Kommunikation mittels Flyer und Broschüren gelobt. Zum anderen ging es darum, dass Menschen mit eingeschränkter Mobilität vor allem in den Abendstunden oft gar keine Möglichkeit haben, an Freizeitangeboten teilzunehmen, weil sie nicht zum Veranstaltungsort kommen. Wunsch vieler Beteiligter war ein Fahrdienst zum Kulturhaus bei zielgruppenrelevanten Events. Ein Vorschlag, der verwaltungsintern besprochen werden soll.

Hintergrund zur Malteser-Befragung:

Das bundesweite Malteser Projekt „Miteinander – Füreinander“ wurde im Jahr 2020 etabliert und läuft bis zum Jahr 2024. Es wird mit insgesamt sieben Millionen Euro vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Ziel ist es, den Zugang zu Menschen im älteren und hohen Alter zu verbessern und Angebote zur Prävention von Einsamkeit aufzubauen. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Derzeit werden Angebote an 112 Standorten entwickelt und getestet. In Sachsen-Anhalt ist das Projekt mit Seniorencafés und Kreativgruppen an den Standorten Haldensleben, Ballenstedt und Weißenfels vertreten. Über die Etablierung von Angeboten hinaus soll die Bevölkerung für Einsamkeit im Alter sensibilisiert und so zusätzliche Hilfsbereitschaft aktiviert werden.

In Sachsen-Anhalt wurde die Studie begleitet von Dr. Peter-Georg Albrecht. Der Diplom-Sozialarbeiter forscht an der Hochschule Magdeburg-Stendal unter anderem zu zivilgesellschaftlichen Entwicklungsfragen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden veröffentlicht in der Fachzeitschrift "Pro Alter" (Ausgabe 2/2023).

Text: bearbeitet mit Material von Malteser Hilfsdienst gemeinnützige GmbH