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Datum: 20.02.2024

Ein spannender Brief und weitere Überraschungen

Das Weißenfelser Stadtarchiv hatte im Jahr 2023 insgesamt 254 schriftliche Anfragen; ein minimaler Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (237 Anfragen). Vor Ort recherchierten insgesamt 114 Personen zu historischen Inhalten. Hier lag der Anteil im Vorjahr mit 121 Terminen auf einem ähnlichen Niveau.

Für eine Überraschung sorgte eine Schenkung im März 2023 von Elisabeth Tillmann aus Steinfurt (Nordrhein-Westfalen). Sie überlies dem Weißenfelser Stadtarchiv einen Brief, den der Militär-Oberpfarrer des IV. Armee-Korps Dr. Oskar Hermens aus Magdeburg im Februar 1897 an Diakon Friedrich Gerhardt in Weißenfels schrieb. In dem Schreiben ging es vordergründig um Militärgottesdienste in der Schlosskapelle. Oskar Hermens regte aber auch dazu an, ein „besonderes Büchlein“ über die Schlosskirche zu verfassen. Tatsächlich erschien im Jahr 1898 eine Abhandlung über „Schloss und Schlosskirche zu Weißenfels“ von Friedrich Gerhardt. Erkenntnisse daraus flossen auch in seine 1907 erschienene Chronik zur Geschichte der Stadt Weißenfels ein, die unter anderem neue Beiträge zum Herzogtum Sachsen-Weißenfels enthielt und bis heute von Chronisten viel zitiert wird. „Die Publikation zur Schlosskirche von Friedrich Gerhardt lag uns all die Jahre vor aber erst durch den Brief sind uns die Hintergründe bekannt geworden“, sagt die Leiterin des Stadtarchivs Silke Künzel. Der Brief wird in der Autographen-Sammlung des Archivs verwahrt. Diese Sammlung handschriftlicher Zeitdokumente wurde erst vor drei Jahren angelegt und befindet sich noch im Aufbau. Von dem in Altdeutsch verfassten Schreiben hat Silke Künzel ein Transkript angefertigt. Zudem veranlasste die Schenkung das Archiv-Team zu weiteren Recherchen; beispielsweise zur Biografie von Friedrich Gerhardt und zu dessen zahlreichen Publikationen.  

Es sind diese Kontakte zu den Bürgerinnen und Bürgern, die den Arbeitsalltag von Silke Künzel und ihren beiden Mitarbeiterinnen spannend machen. So erhielten sie im Jahr 2023 auch eine Anfrage aus Paris. Der deutsche Designer Georg Lux, der es als Creative Director der Luxus-Modemarke Leonard von Thüringen bis ganz nach oben in die Pariser Modewelt geschafft hat, arbeitet gemeinsam mit einem Partner an einer Biographie über den in Weißenfels geborenen Modefotografen Horst P. Horst. „Wir haben die Geburtsurkunde von Horst P. Horst, der am 14. August 1906 als Horst Paul Albert Bormann in Weißenfels geboren wurde, zugearbeitet. Auch Informationen zur Familie und einige Fotos konnten wir finden“, berichtet die Archivleiterin.  

Auch nach Amsterdam pflegt das Archivteam schon seit einigen Jahren einen engen Kontakt. Dort schreibt der Musiker Emile Meuffels an einer Dissertation über den in Weißenfels geborenen Barockkomponisten und Trompeter Gottfried Reiche. „Eine Weißenfelser Persönlichkeit, die in unserer stadtgeschichtlichen Erzählung nicht wirklich präsent aber in der Musikwelt bestens bekannt ist“, sagt Silke Künzel und verweist darauf, dass Gottfried Reiches Familie in der Region eine wahre Dynastie an Stadtpfeifern hervorgebracht hat und er selbst ab 1697 als 1. Trompeter unter Johann Sebastian Bach in Leipzig tätig war.

Das dreiköpfige Archiv-Team hat im Jahr 2023 zudem intensiv mit dem Weißenfelser Simon-Rau-Zentrum zusammengearbeitet. Dabei wurden Recherchen zur Eröffnung des Kaufhauses Joske und zur Familie Birnbach durchgeführt. Generell erreichten das Stadtarchiv im vergangenen Jahr viele Anfragen aus Israel zur Familienforschung und Erbenermittlung. Auch der Landesverband der Jüdischen Gemeinde stellte in Bezug auf Einzelschicksale jüdischer Familien Rechercheanfragen. „Diese Recherchen sind eine Herausforderung, weil in der historischen Einwohnermeldekartei die Karten von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern zur Zeit des Nationalsozialismus entfernt wurden. In der Kartei sind diese und zum Teil auch antifaschistische Personen ab Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu finden. Wir müssen also auf andere Zeitdokumente wie beispielsweise das Standesamtsregister bei unseren Nachforschungen zurückgreifen“, sagt Silke Künzel.

Passend zum anstehenden Wahljahr 2024 spielte im vergangenen Jahr auch die Kommunalpolitik eine Rolle bei den Recherchen im Weißenfelser Stadtarchiv. So forscht eine junge Wissenschaftlerin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg seit Ende 2023 zu den weiblichen Abgebordneten der Stadtverordnetenversammlung in Weißenfels zur Zeit der Weimarer Republik. „Das ist für uns ein sehr spannendes Thema, weil wir davon ausgegangen waren, dass zu dieser Zeit nur wenige Frauen in Weißenfels politisch aktiv waren. Tatsächlich ist die junge Wissenschaftlerin aber auf einige Namen gestoßen und wir haben daraufhin Recherchen zu den Biografien dieser Frauen aufgenommen“, sagt Silke Künzel. Nachforschungen zu Frauen seien aufgrund von Namensänderungen nach der Heirat zwar immer mit Schwierigkeiten verbunden, trotzdem erhofft sich die Archivleiterin neue Erkenntnisse, die dann auch in die Chronik der Stadt Weißenfels einfließen sollen.

Ebenfalls spannende Ergebnisse lieferte ein Forschungsprojekt des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim zu Bürgermeistern und Oberbürgermeistern der Stadt Weißenfels. Bis ins Jahr 1374 hinein konnten die Archivmitarbeiterinnen Bürgermeister der Saalestadt auflisten. Der erste Oberbürgermeister Weißenfels’ war am 1. April 1899 Johannes Wadehn (gesamte Amtszeit 1897-1909). Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Schuhindustrie und den Braunkohlebergbau war die Einwohnerzahl der Saalestadt stark angewachsen, sodass die Kommune per Gesetzt angehalten war, einen eigenen Stadtkreis zu bilden und damit auch einen Oberbürgermeister zu wählen.

Doch nicht nur mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern arbeitete das Team des Stadtarchivs im vergangenen Jahr zusammen, sondern auch mit dem Museum Weißenfels, der Weißenfelser Stadtplanung, dem Gästeführerverein, mit Goldschmied und verdientem Bürger Jens Fischer sowie Hobby - Historiker und Ehrennadelträger Karl-Heinz Bergk. Finanzielle Unterstützung erfuhr das Stadtarchiv vom Förderverein Museum Weißenfels e.V. bei der Restaurierung einer historischen Urkunde, mit der im Jahr 1765 das Apothekerprivileg über die Mohrenapotheke an Johann Benedix Beuerlein erteilt wurde. Auch in diesem Jahr soll mithilfe des Museumsvereins wieder eine Urkunde restauriert werden. Das Dokument aus dem 16. Jahrhundert führt die damals in der Stadt Weißenfels geltende Kleiderordnung auf.

Darüber hinaus werden Silke Künzel und ihre Kolleginnen weiter an der neuen Stadtchronik arbeiten. Die letzte Ausgabe erschien im Jahr 2010, sodass eine Fortschreibung mit Spannung erwartet wird. Auch Ergänzungen zur vorliegenden Chronik werden notwendig sein. Zudem weist das Archiv ab dem Jahr 1945 große Erschließungslücken auf. So sind zwar alle Aktentitel mit Signatur und Jahresangaben erfasst, jedoch müssen diese auch noch inhaltlich erschlossen werden. Bei einem Gesamtbestand von mehr als 20.000 Archivakten ist das eine Mammutaufgabe. Archivleiterin Silke Künzel arbeitet beispielsweise aktuell an einem Testamentsbuch der Jahre 1604 bis 1611 und transkribiert die altdeutsche Handschrift. Diese Erschließung des Altaktenbestands ist ein wichtiger Beitrag für die Familienforschung, welche seit Jahren ein Trend bei den schriftlichen Anfragen ist. Ausgewählte Archivalien wie beispielsweise historische Adressbücher werden derzeit von den Mitarbeiterinnen zudem digitalisiert, damit den Nutzerinnen und Nutzern bei der Vor-Ort-Recherche nicht die empfindlichen Originale vorgelegt werden müssen.