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Datum: 11.03.2024

Frauentagsveranstaltung des Landes Sachsen-Anhalt erstmals in Weißenfels

Die zentrale Veranstaltung des Landes Sachsen-Anhalt zum Internationalen Frauentag hat am 6. März 2024 erstmals in Weißenfels stattgefunden. Der Fachtag mit dem Titel „Wenn die Zeit nicht reicht. Warum es eine neue Zeit- und Vereinbarkeitspolitik braucht.“ stand im Zeichen der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt. Organisiert wurde der Fachtag vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Integration und Gleichstellung, dem Landesfrauenrat und der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten (LAG). Ein Thema, das beim Publikum auf großes Interesse stieß. Mit etwa 150 Anmeldungen war das Tagungszentrum im Schumanns Garten restlos ausgebucht.

Zum Programm gehörten neben einer Videobotschaft von Gleichstellungsministerin Petra Grimm-Benne auch Grußworte des stellvertretenden Weißenfelser Oberbürgermeisters Steve Mämecke, der Vorsitzenden des Landesfrauenrates Michelle Angeli und der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Weißenfels Katja Henze für die LAG und in ihrer Funktion als Bundessprecherin für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Frauenbeauftragten und Gleichstellungsstellen. Mit kurzen Vorträgen wandten sich zudem Dr. Katrin Jurczyk von der Gesellschaft für Zeitpolitik und Klaus Schwerma vom Bundesforum Männer an die Gäste. Das Impulsreferat hielt Journalistin und Autorin Teresa Bücker, die mit ihrem Buch „Alle Zeit. Eine Frage von Macht und Gerechtigkeit“ den NDR Sachbuchpreis 2023 gewonnen hat und für mehr Zeitgerechtigkeit plädierte. Mit einer Podiumsdiskussion fand die Veranstaltung am Nachmittag ihren Abschluss.

„So manche kommen als modernes Paar in den Kreißsaal und als Paar aus den 1950er Jahren wieder heraus“, sagte Petra Grimm-Benne und verwies in diesem Zusammenhang auf die jüngst veröffentlichten Zahlen der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes, wonach Frauen knapp 44 Prozent mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer. Zu dieser sogenannten Care-Arbeit (deutsch: Sorgearbeit) gehören unter anderem Kinderbetreuung und Haushalt. Dieses Ergebnis bestätigt auch eine aktuelle Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. In der Altersgruppe von 35 bis 39 Jahren übernehmen demnach Frauen sogar mehr als doppelt so viel Sorgearbeit wie Männer und das unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie erwerbstätig sind. Petra Grimm-Benne plädierte deshalb dafür, dass Erwerbsarbeit und Sorgearbeit zusammengedacht werden müssen – für alle Geschlechter und über den gesamten Lebenslauf hinweg.

Ein Ansatz, den auch die Weißenfelser Gleichstellungsbeauftragte Katja Henze befürwortet. Sie wies mit Sorge auf den rasanten Anstieg von Teilzeitarbeit bei Frauen hin. Tatsächlich arbeiten nahezu 50 Prozent aller erwerbstätigen Frauen in Deutschland in Teilzeit. Kommen Kinder hinzu, sind es sogar zwei Drittel der Frauen. Deutschland hat damit eine der höchsten Teilzeiterwerbsquoten unter Frauen aller OECD-Länder. Für Katja Henze ist dies ein deutlicher Hinweis auch auf den Erschöpfungszustand von Frauen und Familien. Zeit sei damit eindeutig ein Indikator für Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit. „Denn der Zeitmangel sorgt dafür, dass diese Frauen zum Beispiel bei den anstehenden Kommunalwahlen nicht zur Verfügung stehen. Macht und Entscheidungsbefugnisse müssen aus der Hand gegeben werden“.

Einen neuen, radikaleren Denkansatz zur Zeitpolitik stellte Journalistin und Autorin Teresa Bücker vor und hinterließ damit bei vielen Teilnehmerinnen einen bleibenden Eindruck. So ist ihr die viel zitierte „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zu kurz gedacht, weil diese Politik größtenteils auf klassische Paarbeziehungen abziele und somit viele Menschen ausschließe. Zudem umfasse die Vorstellung von einem „guten Leben“ deutlich mehr Aspekte. In diesem Zusammenhang zeigte sie beispielsweise den positiven Einfluss von Freundschaften auf Wohlbefinden und Gesundheit auf.

Kritik übte Teresa Bücker auch an der aktuellen Forschung, die Freizeit fast ausschließlich quantitativ und nicht qualitativ misst. „Diese Zahlen zeigen nicht, dass ein großer Teil der freien Zeit auf die Randstunden des Tages fallen. Das sind müde Stunden, also keine hochwertige Freizeit.“ Für sie ein Grund dafür, weshalb viele Menschen diese Zeit erschöpft auf dem Sofa oder vor dem Handy verbringen, anstatt die Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, einem gesunden Lebensstil und gesellschaftlichem Engagement zu erfüllen.

Die Lösung besteht für Teresa Bücker nicht in einem besseren Zeitmanagement. Eine Lösung könne auch keine Privatsache sein. Schließlich führe eine Kultur des Zeitmangels dazu, dass eine Gesellschaft ärmer an sozialen Beziehungen werde. Auch das Wohlbefinden und die Gesundheit leiden darunter. Zukunftsaussichten, die der Autorin zufolge nur eine „Zeitpolitik für alle“ verhindern kann. Als Schlussfolgerung aus ihren vorangegangenen Ausführungen sind für Teresa Bücker politische Forderungen nach der in Vollzeit arbeitenden Frau der falsche Weg. „Das Festhalten an der 40-Stunden-Woche verhindert das Gelingen von Gleichberechtigung“, sagte die Autorin und wagt an dieser Stelle den Perspektivwechsel. Gleichstellungspolitik müsse die Väter mehr in den Blick nehmen. „Die Erwerbsarbeitszeiten von Frauen und Männern müssen sich angleichen. Und das bei einer insgesamten Reduzierung der Definition von Vollzeitarbeit.“ Nur so bestehe die Möglichkeit sowohl für eine geschlechtergerechte Neuverteilung von Erwerbsarbeit und Care-Arbeit, als auch für die bedürfnisorientierte und selbstbestimmte Nutzung von hochwertiger Freizeit.

Die zentrale Frauentagsveranstaltung des Landes Sachsen-Anhalt wurde vom Offenen Kanal Merseburg-Querfurt aufgezeichnet. Das Video wurde im Livestream übertragen und ist zudem dauerhaft in der Mediathek abrufbar: 

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