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Datum: 05.04.2024

Oettler-Erben überreichen altes Tagebuch von einstigem Weißenfelser Brauereibesitzer

Außergewöhnlichen Besuch erhielt Oberbürgermeister Martin Papke am 14. März 2024. Die Geschwister Susanne und Friedrich Oettler, die Nachfahren der einstigen Weißenfelser Brauereifamilie Oettler, haben den langen Weg aus Nordrhein-Westfalen bis ins Rathaus der Saalestadt auf sich genommen, um dem Stadtoberhaupt eine Transkription des Tagebuchs von Wolfram Oettler zu überreichen.

Wolfram Oettler wurde 1855 in Weißenfels geboren und starb 1911 auch in der Saalestadt. Sein Vater Friedrich betrieb die Oettler-Brauerei in Weißenfels. Auch Wolfram erlernte den Beruf des Bierbrauers. Er lebte in Weißenfels und übernahm später die Brauerei des Vaters. Mit Melanie Haggenmacher, der Schwester eines Freundes aus Budapest, bekam er zwei Söhne und eine Tochter. Sein Tagebuch spiegelt die Lehr- und Wanderjahre des Fabrikantensohns von 1871 bis 1878 wider.

Das Tagebuch ist größtenteils im Telegrammstil geschrieben. Der junge Wolfram Oettler hielt darin seinen Alltag während der Ausbildung und seine Beschäftigungen in der Freizeit fest. In den letzten Einträgen äußerte er sich auch zur Brauerei und zum gesellschaftlichen Leben. Außergewöhnlich sind die Mobilität und Reiselust des Fabrikantensohns. So ging das Tagebuch – ein braunes ledergebundenes Büchlein – mit auf Reisen nach Österreich, Ungarn, Frankreich, England, Holland und sogar in die USA. Das Tagebuch lässt den Leser zudem an einigen politisch-historischen Momenten teilhaben, wie zum Beispiel der Papstwahl und dem Attentat auf den Deutschen Kaiser in Berlin im Jahr 1878. Die Transkription, welche von Susanne Oettler vorgenommen wurde, enthält zudem passende Ausschnitte aus Briefen Wolfram Oettlers.

„Wenn ich das Tagebuch lese, rückt mir das Leben im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ganz nah. Wolfram befindet sich im Alter zwischen 16 und 23 Jahren. Und was trinkt er? Bier, viel Bier, Grog, Port, Wein und Champagner. Was wird unter Freunden gespielt? Schafkopf, Skat, Schach, Billiard. Und es werden Kegel geschoben. Ab und zu gibt es ein Tanzfest, doch Frauen spielen sonst kaum eine Rolle. Sehr wichtig sind die Aufenthalte in der Kneipe oder im Musikcafé und zahlreiche Abende im Konzert, im Theater und in der Oper“, schreibt Susanne Oettler im Vorwort. „Es ist sehr spannend, in dem Tagebuch zu lesen. Aufgrund der detailreichen und auch vertraulichen Beschreibungen ist das Schriftstück fast schon eine Milieustudie von Weißenfels zur damaligen Zeit“, sagt Oberbürgermeister Martin Papke.

Das Tagebuch des Wolfram Oettlers kam erst im Jahr 2020 wieder in den Besitz der Familie Oettler. Als die Brauerei nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet wurde, konnten nur wenige Gegenstände aus dem Oettlerschen Wohnhaus gerettet werden. Die langjährige Sekretärin der Brauerei hatte das Tagebuch mitgenommen. Es wurde nach ihrem Tod auf dem Speicher ihres Hauses entdeckt und von den späteren Hausbesitzern aufbewahrt. Erst nach einer Entrümplungsaktion im Jahr 2020 kam das Tagebuch wieder zum Vorschein und wurde per Post an die Nachkommen geschickt.

Die Familie Oettler betrieb seit dem Jahr 1852 die Weißenfelser Stadtbrauerei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Oettler-Brauerei zu einer großen Backsteinfabrik in der Langendorfer Straße ausgebaut, existierte in den Jahren der DDR als Felsbräu und musste wenige Jahre nach der Deutschen Wiedervereinigung schließen. In der Fischgasse, wo die Stadtbrauerei ursprünglich angesiedelt war, vierblieb bis heute die Gastwirtschaft „Altes Brauhaus“.